Marc Konstanzer, M.A.

Promotionsprojekt

„Zappelphillip wird erwachsen“ – Eine deutsch-amerikanische Wissensgeschichte der ADHS Selbsthilfeorganisationen- und gruppen von ihren Anfängen in den 1980er Jahren bis in die Gegenwart (Arbeitstitel)

„ADHD. A Hunter in a farmer's world“ - so lautet der Titel eines 1993 veröffentlichten Buches von Thom Hartmann, der im Jahr 1979 das wohl erste Internat speziell für ADHS-Kinder – die sogenannte „Hunter School“ - in Rumney, New Hemphsire ins Leben gerufen hat. In seinem als „Practical Guide for People with ADHD“ beworbenen Werk stellt Hartmann die These auf, dass es sich bei dem seit 1978 als „hyperkinetische Störung“ im International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD 3) geführten Krankheitsbild nicht um eine neuronale Störung handelt, die (zwangsläufig) einer pharmakologischen Behandlung bedarf. Vielmehr sei ADHS stattdessen eine genetische Besonderheit, durch die Menschen mit ADHS „eine andere Art, die Welt zu sehen“ entwickelt hätten, die sich bis zu den Jägern und Sammlern der Steinzeit zurückführen lasse. Menschen mit ADHS können laut Hartmann als Erben der Jäger angesehen werden. Mit Beginn der neolithischen Revolution hätten die Fähigkeiten des Jägers seine „Strategien blitzartig anzupassen“ und sich „ohne Abwägung der Risiken in Gefahr zu begeben“ aber schnell an Bedeutung verloren. In den entstehenden „landwirtschaftlichen Gesellschaften“ seien es die Bauern und nicht mehr die Jäger gewesen, „die für Nahrung und Überleben sorgten“. Ihre „langfristige Sicht“ und „risikoarmes Verhalten“ habe sich daher als „normatives Ideal menschlichen Verhaltens“ durchgesetzt.

Hartmanns Werk ist eines der wirkmächtigsten Beispiele für die Wissensproduktion von ADHS-Selbsthilfeorganisationen- und gruppen. Häufig dienten und dienen die Publikationen dazu, den ADHS Betroffenen im Alltag zu helfen und Ihnen eine neue, stärker recourcenorientierte Perspektive auf ihre Neurodiversität zu ermöglichen. Die sich selbst ermächtigenden Gegenexperten der Selbsthilfe forderten die gängige Perspektive der frühen ADHS-Forschung heraus, die die Störung zunächst als reines Verhaltensproblem angesehen hatte. Als „Betroffenenwissen von unten“ brachte die Selbsthilfe ihre lokal und regional produzierten Wissensbestände gegen die wissenschaftliche Expertise der ADHS-Forschung in Stellung und veränderten so den Forschungsstand grundlegend. Heute wird ADHS nicht mehr als reine Verhaltensproblematik, sondern als eine komplexe Entwicklungsverzögerung des Selbstkontroll-Systems (Executive Function System) im Gehirn angesehen, die je nach Schweregrad bis in das Erwachsenenalter persistieren kann.

In meiner Arbeit möchte ich die sozialen und kulturellen Praktiken, mittels derer ADHS-Selbsthilfeorganisationen- und gruppen Wissen produzieren und gesellschaftlich positionieren, von den Anfänge der Selbsthilfe in den 1980er Jahren bis in die Gegenwart analysieren. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht der Aufstieg von „Gegenexperten“ - engagierten Laien und therapeutischen Praktikern der ADHS-Selbsthilfe – deren „Betroffenenwissen“ aus dem gesamten Feld der Gesundheitspolitik bald nicht mehr wegzudenken war. Die Arbeit zeichnet den Transfer der stets regional und lokal geprägten Epistemologien der Selbsthilfegruppen von den Vereinigten Staaten in die Bundesrepublik nach. Sie versteht sich damit als transnationale Wissensgeschichte.

Mein Portrait

10.2014 – 09.2018 BA-Studium (Hauptfach: Neuere und neueste Geschichte, Nebenfach: Politikwissenschaft) an der Universität Konstanz und Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Abschlussarbeit: Zur Bedeutung Thomas Müntzers für die Geschichts- und Erinnerungskultur der DDR – Eine Untersuchung anhand des DEFA-Fernsehfilms „Ich, Thomas Müntzer, Sichel Gottes“, (Note 1,3)

10.2018 – 05.2022 MA-Studium (Geschichtswissenschaft, Schwerpunkt: Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts) an der Universität Konstanz

Abschlussarbeit: „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“ - Der Versuch zivilgesellschaftlicher Intervention gegen ein Großbauprojekt am Beispiel der Protestpraktiken der „Bürgerinitiative gegen die Flughafenerweiterung Frankfurt Rhein-Main“ (1979-1981),  (Note 1,0)

08.2022 – 12.2022 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Zeitgeschichte von Prof. Dr. Sven Reichardt

seit 05.2023 Wissenschaftlicher Mitarbeiter Zeppelin Museum Friedrichshafen


Praktika:
Zentrale Studienberatung Universität Konstanz
D.I.E. Firmenhistoriker GmbH, Aalen

Forschungsinteressen

Geschichte sozialer Bewegungen
Wissensgeschichte
Geschichte des Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndroms (ADHS)
Disability History

Stipendien

08.2022 – 12.2022 Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter finanziert durch das Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung