Bildnachweis: Evert Collier, Vanitas Still Life, 1662. Creative Commons (CCO 1.0.)

Forschung der Professur für Neuere Geschichte

„Frühe Neuzeit“ bezeichnet den Zeitraum vom 15. bis ins späte 18. Jahrhundert, von der Reformation bis zur Revolution, von der ersten Globalisierung bis zur ersten Industrialisierung. Dieser Zeitraum mag aus heutiger Perspektive einerseits recht fremd und weit entfernt erscheinen: religiöse Weltdeutungsmodelle, ständische Gesellschaftsordnungen, dominierende Agrarwirtschaften oder magische Wissensformen markieren deutliche Abstände zum Hier und Heute.
Andererseits findet sich in dieser Frühen Neuzeit vieles, das uns heute noch sehr vertraut ist: die Medienrevolution durch den Buchdruck, die Grundlegung der modernen Wissenschaften, die Ausbildung von Staatsgewalten, die Entwicklung kapitalistischer Wirtschaftsformen – alles das hat mittelbar oder unmittelbar mit uns zu tun. Und auch wenn es sich bei „Früher Neuzeit“ um einen unübersehbar europäischen Epochenzuschnitt handelt, kommt ihm insofern räumlich übergreifende Bedeutung zu, als sich europäische Mächte genau in dieser Zeit daran machten, andere Erdteile zu unterwerfen.
Von „Neuzeit“ zu sprechen, ist daher nicht nur insofern gerechtfertigt, als zwischen 1500 und 1800 wesentlich Neues geschieht, sondern weil sich die Bewohner:innen dieses Zeitraums der eigenen Neuartigkeit auch bewusst wurden und diese sogar gezielt herbeiführten – ohne dabei jedoch auf bewährte Traditionen und versichernde Fundamente verzichten zu wollen.
Wenn gegenwärtig die Grundlagen von Neuzeit und Moderne zweifelhaft werden, weil die Versprechen von Wachstum und Fortschritt nicht mehr verfangen, weil die Klimakrise und die Zerstörung des Planeten durch die Auswirkungen von Industrialisierung und Konsumkultur unübersehbar werden, weil die Nachwirkungen von Kolonialismus und Imperialismus weiterhin akut sind oder weil kapitalistische Wirtschaftsformen zu viele Opfer und Schäden fordern, dann kann dem historischen Blick in die Frühformen dieser Neuzeit eine Spiegelfunktion zukommen. Und dann kann die Fremdheit dieser „Frühen Neuzeit“, also das, was an ihr gerade nicht ‚neuzeitlich‘ ist, unter Umständen wieder interessant werden (man denke nur an die Praxis der Allmende / commons).
Die Forschung an der Konstanzer Professur für Neuere Geschichte mit Schwerpunkt Frühe Neuzeit wird sich daher Fragestellungen zuwenden, wie neuzeitliche Welten seit etwa 1500 verwirklicht wurden – und welche Möglichkeiten für alternative Weltkompositionen dieser Zeitraum weiterhin bereithält. Neuzeit ist kritisch auf ihre Neuzeitlichkeit zu befragen. Im besten Fall entstehen daraus nicht nur Beschreibungen von Vergangenheiten, sondern ebenso historisch fundierte Möglichkeiten für andere Beschreibungen von Gegenwarten und Zukünften. Der (geschichts-)theoretischen Reflexion kommt dabei eine wesentliche Rolle zu.