Kaspar, Melchior und Balthasar: Eine spätmittelalterliche Legende auf Reisen

Gabriela Signori (Konstanz)

Unter den südwestdeutschen Adelsgeschlechtern zeichnet sich gegen Ende des 14. Jahrhunderts eine leise, von der Forschung kaum bemerkte „Revolution“ ab: Immer mehr Familien brachen mehr oder weniger radikal mit der an­gestammten Tradition, der zufolge der Name des Vaters an den (nicht zwangs­­läufig ältesten) Sohn oder Brudersohn übergehen sollte, und wählten „universelle Namen“ christlicher Hei­liger aus Geschichte und Legende, um sich (auf Dauer) ein neues, heilsgeschichtliches Familienprofil zu verleihen. Der in den Adelsfamilien gepflegte Namensschatz stand nicht nur für Tradition, sondern auch für politische Zugehörigkeit zum Reich, zum Haus Habsburg oder zu anderen einflussreichen Fürstengeschlechtern. Mit ihrer vielköpfigen Kinderschar boten Rudolf von Habsburg (1273‒1291) und vor allem sein Sohn Albrecht (1298‒1308) reichlich Wahlmöglich­keiten ‒ Wahlmöglich­keiten, die von Ru­dolf über Friedrich, Leopold, Albrecht und Heinrich bis zu Otto reichten.

Mit einer vielköpfigen Kinderschar waren auch Johann von Blumenegg (gest. um 1384) und seine Frau Margarethe aus dem Freiburger Geschlecht der Malterer gesegnet. Taufen ließen sie ihre Söhne nach dem erwähnten Muster auf die Namen Johann, Heinrich, Dietrich, Rudolf, Otto und den Nachzügler Klein­hans; die einzige Tochter erhielt den Namen ihrer Großmutter mütter­­licherseits (Gisela). Es waren dieser drittplatzierte Dietrich (gest. 1417) und seine Frau Beatrix von Landenberg, die als erste in der Familie von Blumenegg einen anderen Weg beschritten: Sie ließen ihre beiden ältesten Söhne auf die Namen Melchior und Balthasar taufen. Nur ihr dritter und jüngster Sohn sollte nicht wie zu erwarten Kaspar, sondern ‒ wie sein Vater ‒ Dietrich heißen.

Die heiligen Könige aus dem Morgenland waren in niederadeligen Kreisen zwar nur eine Option, um mit angestammten Traditionen zu brechen, aber eine seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts immer häufiger gewählte, programmatische und verheißungsvolle Option. Eine Option, die von royalem Selbstbewusstsein strotzte, Christusnähe beanspruchte und auf mindestens drei männliche Nachfolger hoffen ließ. Denn wünschte, wer Kaspar sagte, nicht auch zu Balthasar zu gelangen? Es fragt sich allerdings, warum sich die Belege im Süden des Reichs erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts häufen. Ihr Verehrung war bedeutetend älter, nicht nur in Köln, sondern auch an anderen Bischofskirchen.

Die Chronologie der ‚Ereignisse‘ nachzuzeichnen fällt ausgesprochen schwer. Um an verlässliche Informationen zur Praxis der niederadligen Namengebung zu gelangen, sind wir vor dem Zeitalter der Taufbücher auf Nachlassregelungen oder andere Eigen und Erbe betreffenden Übereinkünfte angewiesen, in denen sämtliche (erbberechtigte) Kinder oder Kindeskinder aufgeführt sind. Solche Verträge sind (nicht nur) für den Niederadel nicht gerade zahlreich, wie sich den Online-Portalen Archive.bw und archives-online (Schweiz) entnehmen lässt. Die beiden Portale sind jedoch eine unverzichtbare Ergänzung (und Korrektur) zum dreibändigen Oberbadischen Geschlechterbuch des Julius Kindler von Knobloch (1842‒1911). Eine Vorreiterrolle scheinen, was die drei Könige anbelangt (mit allen notwendigen Vorbe­halten), die Herren von Kirneck/­Kürn­eck bei Villingen gespielt zu haben.

Die Herren von Kirneck/Kürneck

Brun (I), Kirchherr zu Dunningen ‒ Werner (gest. um 1375) Ω Adelheid von Neuneck

Kaspar ‒ Balthasar ‒ Melchior ‒ Brun (II)

| Klara ‒ Kaspar | | Brun (III) Ω Elsa von Falkenstein ‒ Hans ‒ Kaspar ‒ Melchior

Wie die Herren von Blumenegg waren auch die von Kirneck ursprünglich Vasallen der Grafen von Fürstenberg; später näherten sie sich dem Haus Württemberg an. In ihrer Familie hießen die Söhne wie die Väter gewöhnlich Hug, Brun, Burkhard, Hans oder Heinrich. Welchem Zweig der Familie Werner von Kirneck (gest. um 1375) zugehörte, der mit Adel­­heid von Neuneck verheiratet war, wissen wir nicht. Dieser Werner war es auf jeden Fall, der als erster mit der Familientradition brach und seine Söhne auf die Na­men Kaspar, Balthasar, Melchior und (nach seinem Bruder) Brun (I) taufte. Die Nummerierung ist nicht „genealogisch“; sie stammt von mir und soll helfen, die drei hier relevanten Brun-Generationen auseinander zu halten.

Fortan wanderten die Namen der drei Könige aus dem Morgenland von einer Generation Kirnecker auf die nächste. Brun (II) taufte seine Söhne auf die Namen Brun (III), Hans, Kaspar und Melchior (gest. um 1445) und sein Bruder Balthasar den seinen auf den Namen Kaspar (mehr Söhne waren ihm nicht beschieden). Bruns (II) Sohn Kaspar soll, als er 1483 bestätigte, dass Wilhelm von Neuneck (ein Vertreter der Familie seiner Großmutter) turnfähig sei, laut Urkundentext über 90 Jahre alt gewesen sein. 1485 wird bestätigt, dass auch die Herren von Kirn­eck Turnier-Genossen seien. Danach versiegen die Quellen.

In der Generation der Enkel begegnen die Namen der heiligen drei Könige erstmals auch bei den mit den Herren von Kirneck verschwägerten Herren von Neuneck. Urkundlich greifbar wird dies im Jahr 1438, als Melchior von Neuneck und sein Bruder Lienhard ihrem Bruder Kaspar verschiedene Zinsen und Gülten verkauften. 1438 war das Jahr, in dem Melchior dem Deutschen Orden beitrat. 1492 erscheinen die Junker Wilhelm, Hans, Anthonius, Melchior und Hans vonNeuneck, „welche alle Brüder und Vettern sind und zu Glatt sitzen.“ Ähnliches beobachten wir schließlich auch bei den Herren von Brandeck, Burgheim, Falkenstein, Geben, Hirschhorn, Husen, Landenburg, Neuenstein, Neuhausen, Randegg, zu Rhein etc. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts explodieren die Belege nicht mehr nur in adeligen Kreisen, sondern fortan auch in den Städten und auf dem Land.

Die frühe Affinität des südwestdeutschen Niederadels zu den heiligen drei Königen aus dem Morgenland ist, wie gesagt, in der Forschung bislang unbemerkt geblieben. Die Vielzahl der Familien, die sich für das Modell entschieden und damit eine neue Familientradition erschufen, deutet jedoch darauf hin, dass es sich nicht um eine ephemere Mode, sondern um ein strukturelles Phänomen handelt, das von einem veränderten, adligen Selbstverständnis zeugt. Dieses Phänomen nimmt etwa zu derselben Zeit plastische Gestalt an­, als im Süden des Reichs die ersten Abschriften der mittelhochdeutschen Dreikönigslegende (Historia trium regum) zirkulierten. Der Karmeliter Johannes von Hildesheim (gest. 1375) hatte die Historia trium regum um das Jahr 1364 ‒ wohl mit Blick auf das 200­-jährige Jubiläum der Reliquientranslation ‒ zusammengestellt. 1164 waren die Gebeine der heiligen drei Könige nach einer langen Reise von Konstantinopel über Mailand nach Köln gelangt, wo sich ihre Geschichte alsbald auf vielfältige Weise in das kollektive Gedächtnis der Stadt einschrieb.

Über die drei Weisen aus dem Morgenland berichtet das Matthäus-Evangelium (Mt 2, 1‒12): „Als Jesus geboren in Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: ‚Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.‘ [...] Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war. Als sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe. Und Gott befahl ihnen im Traum, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren; und sie zogen auf einem anderen Weg wieder in ihr Land.“ Matthäus fokussiert auf die beiden Momente Prophezeiung (im Stern versinnbildlicht) und Anbetung des „Königs der Juden“ durch Könige aus dem Morgenland. Die Könige selbst erscheinen darin vergleichsweise profillos und vor allem namenlos. Das reichte nicht aus, um einen Kult zu begründen.

Früh entstand in der orientalischen (syrischen) Kirche ein Rankenwerk aus Legenden, die das Geschehen in eine Höhle versetzten und mit allem bestückten, was für die Geburt eines Menschenkindes von Nöten war: eine Krippe, behelfsmäßige Windeln, Badewännchen, Ammen und Ähnliches mehr. Auch an der Reise der Könige wurde intensiv gearbeitet und am herrschaftlichen Tross, der die Könige ins Heilige Land begleitet hatte. In der Westkirche fehlten längere Zeit vergleichbare Bemühungen. Noch die Legenda aurea ‒ das maßgebliche Legendenwerk der Westkirche ‒ hatte in dieser Hinsicht bemerkenswert wenig zu bieten. Jakobus von Voragine (gest. 1298) erzählt unter dem Titel De epiphania domini keine Legende, sondern entfaltet mehr für seine studierten Kollegen als für eine Laienleserschaft wenig erbauliches und wenig beschauliches Buchwissen. Im Fokus seiner Aufmerksamkeit stehen Namen und Begriffe, bei deren Erläuterung er auf Kirchenväter und andere kanonische Texte rekurriert und seiner Leserschaft damit zugleich seine außerordentliche Belesenheit demonstriert. Bei seinen Studien stieß er auf die Reihung Kaspar, Balthasar und Melchior, die Christus Gold, Weihrauch und Myrrhe dargebracht hätten. Dem Dominikaner Jakobus von Voragine war auch nicht entgangen, dass die Gebeine der heiligen drei Könige von Kon­stantinopel über Mailand nach Köln gelangten; das Thema vertiefte er aber nicht. Eine radikale Wende in die Erzähltraditionen der Westkirche ‒ der Ecclesia occidente ‒ brachte erst die bereits erwähnte Historia trium regum des Karmeliters Johannes von Hildesheim. Gewidmet ist die Schrift nicht etwa dem Bischof von Köln, sondern dem Bischof von Münster, Florenz von Wevelinghoven (1364‒1379), der vor seiner Bischofswahl Kölner Domherr ge­wesen war.

Die Historia trium regum war ein durchschlagender Erfolg: 46 Abschriften liegen allein für die lateinische Ursprungsfassung vor, 60 von den insgesamt acht verschiedenen Übersetzungsvarianten sowie seit 1474 acht verschiedene Drucke aus Augsburg, Köln, Lübeck und Straßburg. Die Abschriften multiplizierten sich im Verlauf des 15. Jahrhunderts vor allem im süd­deutschen Raum; dort kursierten seit 1389 auch die meisten Übersetzungen. Nur neun der 60 Übersetzungen sind in niederdeutscher Sprache verfasst. Das heißt, die Historia trium regum mag ursprünglich für das Kölner Jubiläum entworfen worden sein, wo die Legende durchaus ihre eigene Wirkungsgeschichte entfaltete; dieser lokale Bezugsrahmen wurde indes von Anfang an gesprengt. Der eigentliche Schauplatz der Ereignisse verlagerte sich früh in den Süden des Reichs.

Während beim lateinischen Ursprungstext unter den Besitzern Klöster und Stifte vorherrschen, ‒ die ältesten Exemplare stammen aus Köln (1392), Rupperts­berg bei Bingen (1378) und Kloster Rebdorf bei Eichstätt (1395) ‒ waren die Übersetzungen überwiegend von und für Laien angefertigt worden, selbst diejenigen, die Klosterbibliotheken zugehören wie das Exemplar aus dem Zisterzienserinnenkloster Kirchheim am Ries: ein Geschenk (wird vermutet) der Agnes von Werdenberg für ihre Tochter, die Äbtissin Magdalena von Öttingen (1446‒1496).

Die Historia trium regum ist keine Legende im üblichen Wortsinn, sondern ein Reisebericht über das Heilige Land und die Orientmission der ersten Christen mit mannigfachen Bezügen zu dem legendären Priesterkönig Johannes, dem Herrscher über 72 Königreiche, und zur Thomaslegende. Seine Informationen beziehe er, beteuert Johannes von Hildesheim, aus Büchern, die aus Indien nach Akkon gelangten und in hebräischer und griechischer Sprache geschrieben worden seien. Nachweislich stützte er sich bei seiner Arbeit aber vor allem auf den Pilgerbericht des westfälischen Dorfpfarrers Ludolf von Sudheim (1336‒1341) sowie auf den Reisebericht eines Kölner Anonymus (1338‒1348), der als erster der Geschichte der heiligen drei Königen plastischeres Profil verlieh. Und schließlich wollte Jo­hannes von Hildesheim nicht nur erbauen, sondern auch unterweisen, wie den zahlreichen Appellen zu entnehmen ist, dieses oder jenes sei zu merken beziehungsweise zu wissen et est sciendum, est autem sciendum.

Johannes von Hildesheim wählte für die drei Könige eine andere Reihenfolge als Jacobus von Voragine: Seine Reihe beginnt (dem Kölner Anonymus folgend) mit Melchior, „welcher dem Herrn das Gold opferte“, aus dem Königreich Arabien, dem ersten Indien, in welchem der Berg Sinai liege. Balthasar, „der dem Herrn den Weihrauch opferte“, käme aus dem Königreich Godolien und Saba, dem zweiten Indien, Kaspar, „der Gott die Myrrhe opferte“, aus dem dritten Indien, dem Königreich Tharsis, wozu auch die Insel Egriscula gehöre, wo der Leib des Apostels Thomas ruhe. Kaspar sei ein Mohrmann, und Mohrenleute seien schwarz und hässlich, heißt es weiter unten, aber nur in der neudeutschen Übersetzung aus dem Jahr 1925! Illustrationen zur Dreikönigslegende liegen für die Exemplare vor, die aus der Lauber-Werkstatt im elsässischen Hagenau hervorgingen, sowie für das Exemplar aus der Laienbrüderbibliothek des Klosters St. Gallen. In keiner Fassung ist Kaspar schwarz.

Abb. 1: Paris, Bibliothèque nationale, ms. allem. 33, fol. 12r.


Sollte Kaspars Schwärze der Grund gewesen sein, weswegen Dietrich von Blumenegg darauf verzichtete, seinen Jüngsten auf den Namen Kaspar zu taufen? Das scheint mir eher unwahrscheinlich, obwohl Dietrich offenkundig der Reihung der Dreikönigslegende folgte und seinen Ältesten auf den Namen Melchior taufen ließ. In der Legende selbst ist die Hautfarbe aber durchaus ein Thema, das in den Übersetzungen kommentiert wird:

Abb. 2: Stuttgart, Landesbibliothek, Cod. HB V 86, fol. 69r. Die in roter Farbe nachgetragenen Rand­notizen zeigen, dass der Schreiber den deutschen Text mit dem lateinischen verglich und auch sonst intensiv mit dem Text arbeitete, wie die zahlreichen Unterstreichungen, Zeigefinger und Randkommentare zeigen. Der vorliegende Abschnitt handelt von den Nestorianern, eine perversa religio laut Randkommentar.


In der Fortsetzung der Geschichte werden die Könige, die zeitlebens in Keuschheit gelebt hätten, zu Bischöfen, die den christ­lichen Glauben in der Welt zu verbreiten halfen, und ihre Geschichte wird mit der des Apostels Tho­mas, Konstantinopel und der Kaiserin Helena verwoben und endet mit einem Lob auf die Stadt Köln.

Die bemerkenswerte Erfolgsgeschichte der Dreikönigslegende ist an der Vielzahl der Kopien und Übersetzungen erkennbar, von denen die jeweils ältesten noch ins späte 14. Jahrhundert datieren. Die erste mittelhochdeutsche Übersetzung wurde 1389 von einem unbekannten Übersetzer der Gräfin Elisabeth von Katzenellenbogen (gest. 1391), der Witwe des Eber­hard Schenk von Erbach, gewidmet (Fulda, Hochschul- und Landesbibliothek B 7, fol. 64v).

Nach Sylvia C. Harris ist diese älteste Übersetzungsvariante in insgesamt elf Handschriften überliefert. Verbreitung habe sie „über Schwaben und das Elsaß bis in die Schweiz hinein“ gefunden:

Abschriften der ältesten, Elisabeth von Katzenellenbogen gewidmeten mittelhochdeutschen Übersetzung

Aschaffenburg   Stiftsbibliothek Ms. Pap. 15, 69 fols. (1404)
Bamberg Staatsbibliothek  Msc. Hist. 155 (früher E. VI. 11), fol. 2ra‒23ra (nach 1473)
Basel Universitätsbibliothek Cod. E. III. 14, 1r‒73r (1420)
Colmar Bibliothèque municipale Ms. 55, 1r‒56r (1468/1469)
Fulda Hochschul- und Landesbibliothek B 7, fol. 64 fols. (Mitte des 15. Jahrhunderts)
Göttingen Staats- u. Universitätsbibliothek MS. theol. 200, fol. 327r‒355v (1456)
München Bayerische Staatsbibliothek cgm. 5134, fol. 90r‒160r (1405)
Paris Bibliothèque nationale Ms. allem. no. 33, 78 fols. (Laubersche Werkstattgruppe)
St. Gallen Stiftsbibliothek Cod. 594, S. 284‒389 (1430‒1436)
St. Gallen Stiftsbibliothek Cod. 987, S. 546‒602 (1467)
Würzburg Universitätsbibliothek M. ch. f. 245, fol. 127r‒177v (1445, 1446

Chronologisch geordnet beginnt die Überlieferung der ältesten Übersetzungsvariante mit Aschaffenburg und endet mit Bamberg kurz vor dem ersten Druck (Augsburg 1476). Die Handschrift München cgm 5134 stammt aus der Klosterbibliothek Elchingen bei Ulm und trägt auf Blatt 90r das Datum 1405; Karin Schneider zufolge, die die deutschsprachigen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek katalogisiert hat, ist die Schreib­sprache dieser Dreikönigslegende aber nicht schwäbisch, sondern „ostalemannisch“. Die Bezeichnung ostalemannisch ist heute nicht mehr gebräuchlich; die Schreib­sprache dürfte aber in den Bodenseeraum weisen.

Auch die zweite, etwas jüngere Übersetzungsfamilie datiert Harris noch ins ausgehende 14. Jahrhundert. Mit Ausnahme der beiden Handschriften aus Gießen (Universitätsbibliothek, Hs 992) und Einsiedeln (Stiftsbibliothek, Cod. 259 [692]) weise ihr Dialekt sie jedoch allesamt nach Bayern (die Gießener Fassung trägt das Datum 1400, die Einsiedler Fassung 1468).

52 der 60 deutschen Handschriften sind in Sammelhandschriften enthalten. Dabei zeich­nen sich im Wesentlichen vier verschiedene Überlieferungsgruppen ab, die zum Teil markant andere Wege beschritten als die lateinische Historia trium regum:

  1. Die meisten Handschriften (13) führen die Dreikönigslegende als Ergänzung („Sondergut“) zur Legenda aurea, die, wie beobachtet, wenig Erbauliches zu dem Thema enthält. Dazu gehören Berlin Fragm. var. 511, Berlin mgq 633, Darmstadt Hs. 447 und Hs. 991, Engelberg Cod. 240, Göttingen 8° Cod. Ms. theol. 200, Mainz Hs. I 49, München Cgm 504, 535 und 3972, St. Gallen Cod. 594, Trier Hs. 1192/493, Tübingen Cod. Md 118;
  2. in sieben anderen Handschriften wird die Dreikönigslegende von Jean de Mandevilles Reisebuch (1357 und 1371) und anderen zeitgenössischen Reise- und Pilgerberichten gerahmt (Gießen Hs. 992, Göttingen 4° Cod. Ms. histor. 823, Lawrence/Kansas MS E16, Paris Ms. allem. 150 [1418], St. Gallen Cod. 628, Straßburg ms. 2119, Stuttgart Cod. HB V 86);
  3. in sechs weiteren ist die Dreikönigslegende von Geschichtswerken gerahmt wie dem elsässischen Troja-Buch (Stuttgart Cod. HB V 86), dem Buch von Troja nach Guido de Columnis (Prag Cod. G 29 und Straßburg ms. 2119), einem Fragment aus Konrad von Würzburgs Trojanerkrieg (Köln Best. 7020 [W*] 3) oder Meister Wichwolts Cronica Allexandri des grossen konigs (Dessau, Hs. Georg. 229.8°), Köln Best. 7020 [W*] 3, St. Gallen Cod. 628 und abermals Straßburg ms. 2119);
  4. in fünf Handschriften er­scheint die Dreikönigslegende schließlich in Begleitung einer Ars bene moriendi (München Cgm 5134, Preßburg Cod. 101, St. Gallen Cod. 985, Wien Cod. 3026, Würz­­­burg I. t. f. CCLXIX).

Offenkundig wurde die Dreikönigslegende selbst als Reisebericht verstanden (was durchaus dem Inhalt entspricht) und im übertragenen Sinn mit dem Tod beziehungsweise dem Sterben und Jenseitsreisen verbunden.

Die Vielzahl der Handschriften, die die Dreikönigslegende mit dem fast gleichzeitig ent­standenen Reisebuch des englischen Ritters Jean de Mandeville verknüpfen, ist beachtlich. Zwei dieser Handschriften (beide weisen sprachlich nach Bayern) enthalten zusätzlich Hans Schiltbergers Reisebuch aus den Jahren 1402‒1427 (Straßburg, ms 2119 und St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 628). Der Schreiber der Straßburger Dreikönigslegende stellt sich auf Blatt 297rb namentlich als Volker Landsperger von Kaufbeuren vor. Verortet wird die Handschrift im Nürnberger Raum und in das dritte Viertel des 15. Jahrhunderts datiert. Sollte die Miniatur nicht nachträglich eingeklebt worden sein, dürfte der Empfänger der Handschrift Kaiser Friedrich III. (1415‒1493) sein.

Abb. 3: Straßburg, Bibliothèque nationale et universitaire, ms. 2119, fol. IIIv. Auf dem Widmungsbild erscheint das Bild des deutschen Kaisers, wohl Kaiser Friedrich III. (1415‒1493), mit dem Träger des Reichsapfels, dem Pfalzgrafen bei Rhein, zur Linken.


In fünf weiteren Handschriften findet sich die Dreikönigslegende um singuläre Reiseberichte ergänzt und erweitert:

  1. der niederrheinische Pilgerbericht aus den Jahren 1338 bis 1348, der die beiden Kölner Historia-Exemplare begleitet (Ms. 1408 und 1410‒420) (Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7010 [W = Wallraf] 261a und Best. 7020 [W*] 3), eine bemerkenswerte Verschachtelung von Quel­le und Überarbeitung;
  2. Johann von Bodmans Reisebericht aus dem Jahr 1376 (Gießen, Universitätsbibliothek, Hs 992);
  3. Hans Koplärs Reisebericht aus dem Jahr 1461 (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 3080);
  4. sowie der Bericht über eine Palästinareise aus dem Umfeld Eberhards im Bart aus dem Jahr 1468 (Berlin, Staatsbibliothek, mgq 989).

Johann von Bodman war am 15. August 1376 zusammen mit Junker Diethelm Schilter aus Konstanz ins Heilige Land aufgebrochen; aufgeschrieben worden sei der Reisebericht allerdings erst zwischen 1382 und 1400. An zwei Stellen werden die heiligen drei Königen gestreift (in der Reihung der Legenda aurea) ‒ aber sehr summarisch.

Abb. 4: Gießen, Universitätsbibliothek Hs. 992, fol. 1r: Eine Randnotiz am oberen Blattrand der Folioseite 1r weist die Handschrift nach Augsburg in den Besitz eines Ulrich Walther: „Anno domini 1400 jar Ůlrich Walther der alt etc.“ Das Wappen wurde später dazu gefügt; der Kommentar datiert aus dem 16. Jahrhundert.


Gerahmt ist die Gießener Dreikönigslegende (um 1410) vom Kleinen Kaiserrecht (um 1450), Bodmans Pilgerbericht und Mandevilles Reise in der Übersetzung des Michel Velser. Im jüngeren, zweiten Teil der Sammelhandschrift (1465‒1470) folgt in der Zeit verbreitete medizinische Ratgeberliteratur für Laien (Rezepte, Aderlass, Kräuter, Planeten und Steine).

Lokalisieren lässt sich schließlich auch das Legendenexemplar aus der Universitätsbibliothek Basel, das auf Blatt 70rfesthält: Scriptus est autem iste liber anno domini m° cccc° xx° feria secunda ante Laurentij. Auf dem Blatt 73r finden sich zeitgeschichtliche Notizen nachgetragen, die in das Gebiet des heutigen Kantons Aargau (ab 1415 Berner Aargau) weisen. Auf der Versoseite nennt sich der Besitzer Henmann Moser, Schultheiss zu Brugg, der sie seinem Sohn Ulrich vermachte, der sich in Zürich niederließ und dort als Ratsherr fungierte. Von Ulrich Moser (gest. 1458) ging sie an seinen Sohn Ludwig Moser (1442‒1519) über, der in Basel eine Ausbildung als Stadtschreiber absolviert und in Rheinfelden mehrere Jahre als Stadtschreiber amtiert hatte. 1475 trat er in die Basler Kartause ein, übersetzte mehrere Werke und katalogisierte die Bibliothek der Laienbrüder, in deren Besitz das Buch überging, das dereinst seinem Großvater Henmann gehört hatte.

Mit dem Reisebericht des Johann von Bodman und der Dreikönigslegende der Basler Kartause sind wir erneut im Südwesten des Reichs angelangt, von dem wir einleitend ausgegangen sind. Keiner der eingangs genannten Adligen, die ihre Söhne auf die Namen der heiligen drei Könige aus dem Morgenland hatten taufen lassen, erscheint als Auftraggeber oder Besitzer der Legende; es überwiegt allenthalben das städtische Milieu, ohne hier anfänglich signifikanten Niederschlag in der Praxis der Namengebung zu finden; die Vielzahl der Abschriften in alemannischer, elsässischer und schwäbischer Schreib­sprache zeigt aber unmissverständlich, dass das Wissen um die Herkunft und den Werdegang der drei Weisen aus dem Morgenland spätestens um 1400 im Süden des Reichs angekommen war.

Die Praxis, seine Söhne auf die Namen Kaspar, Melchior und Balthasar taufen zu lassen, mochte, wie das Beispiel der Herren von Kirneck nahelegt, im Einzelfall älter gewesen sein als die ersten Abschriften der Historia trium regum und die Legende ihnen damit nachträglich die narrative Rahmung der Nachbenennung geliefert haben; andere Familien mochten aus der Legende erst die Inspiration gezogen haben, ihre Söhne den heiligen drei Königen nachzubennen. Bemerkenswert bleibt aber allemal, dass sich dieselbe Entwicklung, die wir hier im Kleinen, im Regionalen nachgezeichnet haben, zeitgleich bei den großen Herrscherhäusern Europas beobachten lässt.

Abb. 5: St. Gallen, Stiftsbibliothek Cod. 987 (Bibliothek der Laienbrüder), S. 546.